Samstag, 27. August 2011

Schicksalhafte Zufälle oder zufälliges Schicksal - ist unser Leben vorherbestimmt?

"Glaubst du an Schicksal?", wollte er gestern von mir wissen.
"Du meinst, dass alles, was in unserem Leben passiert, vorherbestimmt ist?", fragte ich zurück.
Er nickte. Also dachte ich nach.
"Ich glaube an so etwas wie veranlagte Vorherbestimmung - an Kausalität", antwortete ich schließlich.
(Anmerkung: Auf den Begriff der "Kausalität" hat mich Stephan erst im Nachhinein gebracht, aber er fasst sehr gut zusammen, was ich in diesem Moment ausdrücken wollte.)

Die Naturwissenschaftlerin in mir tut sich schwer damit zu glauben, dass irgendwer irgendwo irgendwie die Dinge lenkt. Aber ich halte es sehr wohl für möglich - wenn nicht gar unumgänglich - dass sich die Dinge gegenseitig lenken - nach dem Kausalitätsprinzip. Abhängig von gewissen Veranlagungen, Wahrscheinlichkeiten und einer Prise Chaos geschehen die Dinge, weil sie geschehen müssen. Klingt nach Vorbestimmung, ist aber im Prinzip nur ein Ursache-Wirkungs-Prinzip - eine Kausalkette, um genau zu sein. Unsere Erbanlagen, unsere Sozialisation, unsere Interessen, unsere Lebenserfahrung und der Grad an Wahrscheinlichkeit des Auftretens eines bestimmten Ereignisses bestimmen, ob es letztendlich wirklich auftritt, und wenn es das tut, wie es verläuft und welche Auswirkungen es auf unser weiteres Leben hat.

Er und ich, wir haben uns an einem Freitag, dem 13., kennen gelernt. Ich arbeitete damals noch im Content und er im Content-Support, was so viel bedeutet, wie: Wenn ich ein technisches Problem hatte, schrieb ich ein Ticket (d.h. eine Supportanfrage), und mit ein bisschen Glück meldete sich über kurz oder lang jemand vom Content-Support-Team bei mir und löste mein Problem. Mein Problemlöser war an diesem Freitag, dem 13., also er. Und bis hierher haben wir es nur mit Wahrscheinlichkeiten zu tun. Wie wahrscheinlich ist es, dass ich bei der begrenzten Anzahl an Support-Tickets, die ich monatlich rausschicke, irgendwann einmal an ihn gerate? Support-Tickets geteilt durch Support-Mitarbeiter... ich würde sagen: recht hoch! Halten wir also fest: Früher oder später hätte er so oder so mit mir Kontakt aufgenommen. In unserem Fall geschah es nach etwa fünf Monaten.
Mein Problem hatte sich nun (erfreulicherweise) schon von selbst gelöst, so dass ich ihm dies direkt mitteilte, als er sich in Beantwortung meines Tickets bei mir meldete. Neugierig wie ich aber nun mal bin (und nett wie er in den ersten Sätzen klang) schaute ich jedoch sofort im firmeninternen Mitarbeiterverzeichnis (das u.a. mit Fotos versehen ist) nach, mit wem ich da eigentlich gerade chattete - und machte eine folgenschwere Entdeckung: ER war dieser Typ, der mir (zunächst aufgrund seiner markanten Erscheinung) bereits am Tag meines Vorstellungsgesprächs in unserer Firma aufgefallen war. Und an dieser Stelle kommt die Kausalkette ins Spiel: Er war ab diesem Moment kein Nobody mehr für mich, weil sein Name nun mit einem Bild und einer Begegnung bzw. der Erinnerung daran (d.h. mit einer emotionalen oder wertenden Komponente) verbunden war. Ich kann nicht leugnen, dass ich ihn schon damals - obwohl ich ihn ja nicht kannte, sondern maximal aufgrund seines Äußeren beurteilen konnte - interessant fand, was wohl wiederum daran lag, dass ich nichts langweiliger finde als Typen, die total normal aussehen. Was er also zum Zeitpunkt unseres Support-Chats nicht wusste, war, dass wir beide bereits eine Vorgeschichte hatten - zumindest von meiner Seite aus. Diese Vorgeschichte war es dann wohl auch, die mich dazu bewegte, ihm trotz seiner "Dann hab einen sonnigen Tag!"-Verabschiedung noch einmal zurückzuschreiben und somit letzten Endes in ein längeres Gespräch zu verwickeln. Wäre er nicht genau er gewesen, sondern irgendein unauffälliger Typ, zu dem ich (aufgrund mangelnder vorgeschichtlicher Anknüpfungspunkte) keinerlei emotionalen Bezug gehabt hätte, hätte ich es wohl bei einem "Danke, dir auch. Ciao!" belassen. So aber siegte die Neugier und der Wunsch, mehr über den (noch) Unbekannten zu erfahren. Halten wir also fest: Man könnte meinen, dass unsere Wege rein zufällig aufeinandergetroffen und dann plötzlich in gemeinsamen Bahnen verlaufen sind, aber ich behaupte, dass unser Zusammentreffen und alles, was sich später daraus ergeben hat, vorherbestimmt war - vorherbestimmt durch den gemeinsamen Arbeitsplatz, die gemeinsamen Interessen oder Ansichten, die berühmt-berüchtigte "gleiche Wellenlänge". Wäre einer dieser Punkte nicht gegeben gewesen, wäre unser Chat ein unbedeutendes Ereignis geblieben, das keine weiteren Nachwirkungen gehabt hätte. Unsere Wege hätten sich nur kurz gekreuzt und dann in unterschiedlicher Richtung fortgesetzt und wieder voneinander entfernt. So aber habe ich einen Menschen gefunden, der mein Leben enorm bereichert, vielleicht sogar komplettiert, in jedem Fall aber – und das ganz unabhängig davon, wie lange er in dieser Form in meinem Leben verweilen wird – eine Spur hinterlässt, einen Abdruck, etwas ganz Persönliches und Einzigartiges – etwas, das eine enorme Wirkung hat, aber gleichzeitig auch wieder die Ursache für viele weitere Ereignisse in meinem Leben war, ist und sein wird.

Gerade, wenn wir etwas besonders Schönes, Unfassbares oder auch Seltenes erleben, sind wir schnell geneigt, an ein Zufalls- oder Gotteswerk zu glauben. Dabei kommt ein Großteil doch immer aus uns selbst. Und genau deshalb finde ich es so wichtig, die Möglichkeiten, die sich uns zu hunderten und tausenden bieten, auch beim Schopfe zu packen. Schließlich können wir eigentlich gar nicht so viel falsch machen. Jeder Tag, jede Stunde, jede Minute ist eine neue Gelegenheit, unser Schicksal selbst mitzubestimmen, indem wir ihm die Chance geben, überhaupt erst zu unserem Schicksal zu werden. Wir können es uns nicht selbst konstruieren, aber wir können ihm durch unsere Entscheidungen eine bestimmte Richtung geben, eine persönliche Note – und dabei auch am Schicksal anderer Menschen teilnehmen, ein Stück des Weges mit ihnen gemeinsam gehen und uns währenddessen gegenseitig Wärme spenden.