Samstag, 3. September 2011

Unser menschliches Theater

"Es kotzt mich an... unser menschliches Theater", sangen die Böhsen Onkelz auf ihrem 1998 erschienenen Tonträger "Viva los Tioz" (übrigens ihrem besten, wie ich finde). Nun mag man von den Onkelz halten, was man will (und die, die mich länger kennen, wissen, dass ich eine kleine Schwäche für gewisse Lieder dieser sicher nicht unumstrittenen Band habe), aber dieser Satz spricht mir wirklich zutiefst aus der Seele.

Es mag mir anfangs nicht so bewusst gewesen sein, weil ich bisher wohl das Glück hatte, dass sich mein Leben in Kreisen abspielte, die keinen oder nur spärlich vorhandenen Konventionen unterlagen. Aber mit dem Eintritt ins Berufsleben scheinen wir alle zu Schauspielern zu werden... werden zu müssen. Nun konnte ich Theater noch nie etwas abgewinnen (es ist die einzige Kunstform, die sich mir bisher noch nicht erschlossen hat), und außerdem bin ich so ziemlich die schlechteste Schauspielerin seit Dolores Fuller. Ich kann es nicht, und ich mag es nicht. Ich hasse es einfach, mich verstellen zu müssen oder Freundlichkeit zu heucheln (weshalb ich es auch vermeide, so gut ich kann). Noch mehr allerdings hasse ich es, mich mit Freundlichkeit zurückhalten zu müssen, wo sie meiner Meinung nach richtig und wichtig ist. Und genau das ist offensichtlich nötig, um im Berufsleben bestehen zu können.

Ich meine, warum sollte ich mich gegenüber einem Kollegen, zu dem ich ein sehr vertrautes Verhältnis habe, auf der Arbeit anders verhalten als privat? Warum "gehört" sich das nicht? Warum ist es "unprofessionell"? Warum zerreißen sich die Leute das Maul darüber, wenn sich zwei gut verstehen? Warum empfinden sie es als störend oder unangebracht, statt sich für die beiden zu freuen? Vielleicht ist es der hohe Konkurrenzdruck, der die Leute dazu bringt, zwischenmenschliche Gebärden auf der Arbeit anders zu bewerten als im Privatleben, aber ist es nicht auch absolut lächerlich? Es mag daran liegen, dass ich ein recht offener Mensch bin und meine Gefühle und Zuneigungen ebenso offen zur Schau trage (weil ich das ehrlicher finde) - jedenfalls habe ich ein großes Problem damit, mich in meinen Zuneigungsäußerungen einschränken zu müssen, nur weil irgendwelche Leute mit Stock im Arsch nicht damit klarkommen. Ich finde das schlichtweg falsch. Ich kann mich ein- und demselben Menschen gegenüber nicht den halben Tag lang total distanziert verhalten und ihn dann (als Ausgleich) den Rest des Tages zu Tode knuddeln. Was soll das bitte bringen? Wenn ich mich freue, jemanden zu sehen, dann möchte ich ihn zur Begrüßung umarmen können - egal, ob morgens auf der Arbeit oder abends vorm Kino. Denn selbst wenn ich das (auf der Arbeit) nicht tue, ändert es ja nichts an dem Fakt, dass die Beziehung zu diesem Menschen existiert, und dass sie entsprechend intensiv ist. Warum also all die Geheimniskrämerei und Schauspielerei und "professionelle Zurückhaltung"? Es kotzt mich wirklich an... unser menschliches Theater.