Was wäre ein Post auf diesem Blog ohne ein passendes Rainald-Grebe-Zitat? Ich hatte genau dieses Zitat zwar schon mal in einem anderen Beitrag hier, aber es passt einfach wie die Faust aufs Auge. Darum starte ich diesen Beitrag noch einmal mit jenen wundervollen Liedzeilen aus Rainals Grebes Song "Wellnesshotel", in denen er singt:
Ich sah Trümmerfrau'n mit Schokolade im Gesicht.
Unter Adenauer gab es so was nicht.
Ich stand in diesem Wellnesshotel,
und ich hatte das Gefühl:
60* Jahre Frieden sind zu viel.
* mittlerweile 70, Anmerkung der Bloggerin
So in etwa fühlte ich mich, als ich vor Kurzem den Frisör meines Vertrauens aufsuchte: Einen kleinen Frisörsalon im Wedding, zu dem ich bereits seit vielen Jahren gehe, obwohl ich längst nicht mehr im Wedding wohne. Zwar nur etwa zweimal im Jahr, aber eben doch regelmäßig. Bisher zahlte ich dort für einen Haarschnitt 30 € (35 mit Trinkgeld).
Vor zwei Monaten wurde der Salon allerdings komplett renoviert und "modernisiert": Das heißt, mit superschicken Kolonial-Massiv-Möbeln und hippen neuen Geräten, wie elektronischen Splissentfernern, ausgestattet. Muss ein Vermögen gekostet haben. Nur die Frisörinnen sind noch immer die alten (wobei "alt" hier unpassend ist - es handelt sich nämlich durchweg um junge Türkinnen).
Als ich nun also nach einem halben Jahr wieder dort war, erklärte mir eine der jungen Damen, dass sie jetzt ein GANZ NEUES KONZEPT hätten. Sie wollten nämlich weg vom Standard-Cut-and-Go-Frisörsalon-Image und böten deshalb jetzt eine 5-schrittige Haar-Wellness-Behandlung an. Die 5 Schritte sind: Waschen, Grobschnitt, Feinschnitt, Fönen, Splissentfernung. Bisher hieß es einfach nur: Waschen, Schneiden, Fönen.
Ich ließ mich leidenschaftslos auf das Wellness-Angebot ein (ich hatte ja eh keine andere Wahl), und was soll ich sagen? Es war genau das Gleiche wie immer! Nur dass am Ende mit diesem neumodischen Gerät innerhalb von zwei Minuten angeblich der Spliss aus meinen Ansätzen entfernt wurde, wobei ich mich immer noch frage, wie da Spliss drin gewesen sein kann, wenn mir die Frisörin doch vorher mindestens sieben Zentimeter abgeschnitten hat.
Nun ja, das Ende vom Lied: Ich bezahlte 60 € und hatte die gleiche Frisur wie immer, wurde dafür aber von hipper Loungemusik statt türkischer Popmusik beschallt. Und muss mir nun wohl oder übel einen anderen Frisör suchen, denn 60 € für einen Haarschnitt - also sorry, ich habe wirklich ein großes Herz für türkische Frisörinnen und gebe auch immer ein großzügiges Trinkgeld, aber das ist dann doch irgendwie zu viel.
Ob sich dieses Konzept trägt? In Charlottenburg hätte ich dem Pseudo-Schicki-Micki-Laden ja eine großartige Zukunft vorausgesagt, vielleicht auch noch im hipsterverseuchten Prenzl'berg. Aber in einer völlig unbelebten Seitenstraße im Wedding?
Ich las heute übrigens über einen ganz ähnlichen Fall in der
ZEIT.
Berlin wird immer wunderlicher. Oder bin ich diejenige, die immer wunderlicher wird, weil sie so vehement auf Altem beharrt und all diesen superhippen Neuerungen nichts abgewinnen kann? Die Zeit wird's zeigen ... und irgendein stinknormaler Cut-and-Go-Frisör in Neukölln demnächst eine neue treue Kundin bekommen - wenn er sich nicht allzu dämlich anstellt.