Mittwoch, 28. November 2007

Freiheit in Deutschland

Ich habe das Glück, in einer Familie aufgewachsen zu sein, die nie echte finanzielle Probleme hatte. Ich wurde zwar zur Sparsamkeit in Sachen Energieverbrauch etc. erzogen (wohl ein Überbleibsel der DDR-Mentalität), aber meine Eltern mussten nie jeden Pfennig oder später Cent zweimal umdrehen...

Umso nachdenklicher hat mich heute eine Diskussion mit zwei Freundinnen gestimmt:

Situation Nr. 1:

Jana studiert Jura. Sie hat eine jüngere Schwester, die noch zur Schule geht und in anderthalb Jahren ihr Abitur macht. Janas Mutter hat einen Job, und den braucht sie auch, da sie ihre beiden Töchter allein versorgen muss. Seit einiger Zeit hat sie jedoch eine neue Chefin, die ein echter Tyrann ist. Seitdem wird Janas Mutti auf Arbeit gemobbt, schiebt unzählige Überstunden, die ihr nicht bezahlt werden, weil die Chefin behauptet, dass die aufgetragene Arbeit in acht Stunden zu schaffen sei, was allerdings eine glatte Lüge ist, denn Janas Mutter erledigt die Arbeit, für die normalerweise drei Leute angestellt werden müssten. Zudem bekommt sie manchmal noch am Wochenende E-Mails von ihrer Chefin, in der steht, was bis Montag um 9 erledigt sein muss. Welche Wahl hat sie also? Tun, was die Chefin verlangt und mit den Konsequenzen (Stress und alles, was damit verbunden ist) leben? Oder kündigen und arbeitslos werden und bleiben? (Denn in Deutschland mit 50 noch einen Job zu finden, ist aussichtslos!) Oder sich die wohlverdiente Freizeit nehmen, Arbeiten nicht pünktlich erledigen und wegen Unzuverlässigkeit gekündigt werden? Ich habe gesagt, ich würde das nicht mit mir machen lassen, aber dann machte mich Jana auf dieses klitzekleine Detail aufmerksam: Wenn ihre Mutter arbeitslos werden würde, könnte sie Janas Studium nicht mehr mitfinanzieren (und das Bafög würde sicher nicht reichen - ein Jurastudium ist verdammt teuer!), und ihre Schwester könnte womöglich gar nicht erst anfangen zu studieren. Ja, das ist deutsche Freiheit und deutsches Recht auf Bildung!


Situation Nr. 2:


Annett hat nach der Schule eine Ausbildung gemacht und arbeitet nun schon seit 6 Jahren in einem kleinen Büro der Uniklinik. Dass sie kein Abitur gemacht hat und somit nicht an der Uni studieren konnte, liegt vor allem daran, dass sie es zu Hause nicht mehr ausgehalten hat, denn auch sie lebte mit ihrer Mutter und jüngeren Schwester zusammen, mit denen es oft Zoff gab, denn Geld war kaum da, genauso wie ihre Mutter, die Tag und Nacht arbeitete, um von dem wenigen Lohn, den sie bekam, ihre Töchter und sich selbst zu versorgen. Seitdem Annett nicht mehr zu Hause wohnt, versteht sie sich wieder besser mit ihrer Mutter. Sie hat erkannt, dass es eigentlich nur allzu verständlich war, dass ihre Mutter, wenn sie spät nach Hause kam, abgespannt und angenervt war. Annett ist ein sparsamer Mensch, einer der sparsamsten, die ich kenne, und sie hat Träume. Zum Beispiel würde sie gerne einmal für ein Jahr im Ausland leben, um ihr Englisch zu verbessern. Für so einen Auslandsaufenthalt muss man mindestens 10.000 Euro einplanen. Nach sechs Jahren Sparen sollte das kein Problem sein, sollte man meinen, aber jedesmal, wenn es so weit zu sein scheint, passiert etwas Unvorhergesehenes, wie z.B. dass ihre Mutter dringend Geld braucht, um irgendwelche Schulden zu begleichen. Da überlegt man natürlich nicht zweimal - Familie ist Familie, und ihre Mutter würde für sie das Gleiche tun. Ja, das ist die Reisefreiheit, die uns nach der Grenzöffnung versprochen wurde. Das ist unser Recht auf Bildung, das ist "Europa mobil".

Dass ich nicht lache...
Eigentlich ist mir eher zum Heulen zumute.

3 Kommentare:

Anonym hat gesagt…

Ich verweise hier einfach mal auf http://www.sozialerhebung.de/pdfs/Soz18_Kurzfassung.pdf
Aber zu einem Gewissen Grad ist Dein Resumee doch Beschönigung der DDR Verhältnisse. Keiner *garantiert* irgendwem die Möglichkeit z.B. ins Ausland zu gehen, aber sie besteht zumindest prinzipiell. Ob man es sich dann tatsächlich leisten kann, ist eine andere Frage. In der DDR hingegen war es ziemlich egal wieviel Geld man hatte, ins Ausland (die Ostblockstaaten ausgenommen) durfte man so oder so nicht. Sicherlich sind die bestehenden sozialen Unterschiede in Deutschland nicht gutzuheissen, aber diese in irgendeiner Weise mit den Verhältnissen in einem Unrechtsstaat, wie es die DDR nun einmal war, zu vergleichen, halte ich persönlich für unangemessen.

Anonym hat gesagt…

Es war ebenfalls in keinster Weise garantiert, dass man in der DDR das Studium seiner Wahl aufnehmen konnte, geschweige denn überhaupt eins. Heute steht es zumindest prinzipiell jedem offen, auch wenn es nicht immer möglich ist. Insofern halte ich die Bundesrepublik schon für deutlich "freier" als es die DDR jemals war.
Sicherlich sind die Begleitumstände, wie z.B. bei Jana, äusserst unschön, jedoch sollte man bei all dem nicht aus den Augen verlieren, dass es ihr immerhin möglich ist Jura zu studieren.
Und Mobbing in irgendeiner Form gab es zu DDR Zeiten ebenfalls zur genüge. Wenn einen der Kreisparteileiter oder örtliche Stasi-Führungsoffizier o.ä. nicht leiden konnte, dann hatte man ebenfalls sehr schlechte Karten und war tunlichst angewiesen in keinster Weise aufzufallen oder zu widersprechen. Ansonsten konnte es schon vorkommen, dass Professoren ihr Geld plötzlich als Fensterputzer verdienen mussten.

Vero hat gesagt…

Ich habe in meinem Post mit keinem Wort erwähnt, dass die DDR gut war oder gar besser als es die BRD jetzt ist. Ich habe nur die Grenzen der Freiheit in der BRD aufgezeigt und kritisiert. Damit wollte ich auf keinen Fall sagen, dass man in der DDR besser dran war. Viele haben sich halt nach der Wende erhofft, dass sie nun mehr Freiheiten haben - und die haben sie auch! - aber eben nicht in dem Maße, wie sie es sich gewünscht haben und wie ich es als "gerecht" empfinden würde.