Samstag, 1. November 2008

Samstagvormittägliche Gedanken in einem öffentlichen Nahverkehrsmittel, oder: Der ewige Kampf mit dem überempfindlichen Geruchssinn

Dass der Winter vor der Tür steht, merkt man nicht nur beim Blick aufs Außenthermometer oder daran, dass einem der im fernen St. Gallen verweilende Schatz sagt, dass es dort seit drei Tagen schneit, sondern auch an der zwangsläufig laufenden Nase, sobald man vom Warmen ins Kalte oder umgekehrt tritt. Ich putze mir also gründlich die Nase, bevor ich noch etwas müde, aber gut gelaunt den Bus besteige, der wie immer eine Minute zu früh kommt (das nur am Rande zum Thema "deutsche (Über-)Pünktlichkeit"). Sofort spüre ich einen äußerst unangenehmen Geruch in der Nase und ärgere mich zum einen darüber, dass ich Blödmann mir gerade noch die Nase geputzt habe und versuche zum anderen in Windeseile die Quelle auszumachen. Check! Als Verursacher kommen zwei Exemplare der Gattung Mann in Frage - einer mit Glatze, Thor-Steinar-Jacke und einer Flasche Sternburg Export zwischen den Beinen und einer, der aussieht wie ein Pädophiler. Ich setze mich in einigem Abstand zu Ersterem und etwas weniger Abstand zu Letzterem direkt an die Tür, doch der penetrante Geruch holt mich sofort wieder ein. Ich hätte eigentlich auf den Nazi getippt. Sollte es nun doch der Pädophile...?
Der Bus fährt los, und auf Höhe des Beutenbergs dringt plötzlich ein neuer Geruch an meine Nase: Check Geruch Nummer 2! Erdbeeren? Im Winter? Ganz sicher nicht! Nach einer kurzen Analyse steht fest, dass es sich um künstliches Erdbeer-Aroma handelt, das vom Deo der Dame hinter mir stammen muss. Ich hasse künstliche Fruchtaromen, aber alles ist besser als die Alkohol-Zigaretten-Schweiß-Mischung von vorhin. Also lehne ich mich zurück und ergötze mich zum ersten Mal in meinem Leben an künstlichem Erdbeergeruch. Leider steigt die Dame an der Fachhochschule aus, und so lässt Geruch Nummer 1 nicht lange auf sich warten. Der von mir als pädophil getaggte Herr verhält sich relativ unauffällig, so dass ich mittlerweile trotz des größeren Abstands zwischen dem Nazi und mir auf den Nazi tippe. Mit einer Mischung aus Faszination und Ekel beobachte ich, wie er seine Bierflasche immer wieder an den Mund setzt und sie danach wieder zwischen seinen Beinen landet. Ich stelle mir vor, wie ich mich mit einer Bierflasche im Schritt fühlen würde, und mir wird noch schlechter.
Als der Bus an der nächsten Haltestelle zum Stehen kommt, halte ich meine Nase sehnsüchtig in Richtung Tür. Aber stop! Was ist das? Check Geruch Nummer 3! Ein neuer süßlicher Duft liegt in der Luft. Vermutlich rührt er von der Dame, die sich mir gegenüber niedergelassen hat. Haarfestiger! Geruch Nummer 3 kann Geruch Nummer 1 nicht ganz übertönen, da Duftquelle Nummer 3 genau zwischen Nummer 1 und mir sitzt. Als die Dame vor der Haltestelle am Westbahnhof Anstalten macht aufzustehen, möchte ich sie am liebsten festhalten, mich vor ihr auf den Boden werfen und sie anflehen, nicht zu gehen, denn mir ist alles lieber als Geruch Nummer 1! Doch als der Bus in der Westbahnhofstraße hält, verlässt - oh Wunder! - plötzlich auch der Nazi den Bus... und mit ihm Geruch Nummer 1. Hab ich's doch gewusst! Den Pädophilen trifft keine Schuld. Das kurze Stückchen bis zur Endhaltestelle atme ich tief aus und ein und freue mich wie blöde auf die Autoabgase, die mir dort nach dem Aussteigen um die Nase wehen werden.

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Klarer Fall von Walküre, dem "Duft vom grossen Reich". Für nur 20 Reichsmark im Naziladen deines Vertrauens!

http://blog.zeit.de/zuender-blog/wp-content/uploads/2008/02/walkuere01.jpg